Wie man d
em toten Hase
n die Bilder erklärt

Kunst ist Kunst ist Kunst ist Kunst, Kunst?

 

Es ist einer dieser besonders kalten Tage im Januar. Der Winter taumelt vor sich hin und versucht seine letzten Hiebe auszuteilen. Der Grad der Unternehmungslust geht Hand in Hand mit dem Immunsystem den Bach runter. Solidarität nennt man das.
Aber im Nachhinein ist man froh zwei Stunden Hin- und Rückfahrt auf die Schulter gestemmt zu haben – man erlebt eine charmante, witzige und nicht zuletzt verrückte Aufführung, die es in sich hat. Das Stück erfordert ein gewisses Repertoire an „Know-when“ und „Know-what“. Unvorbereitet muss man unheimlich intelligent sein die Messages auf Anhieb zu verstehen. Apropos verstehen – das Stück wird auf Estnisch gespielt. Für meine Ohren ganz neu. Für uns „Deutsche“ gab es Untertitel, die auf die hintere Wand der Bühne projiziert wurden. Eine Performance mit Subtitles a lá ausländischer DVD.
Bevor man also in die Aufführung geht gilt es vorher zwei Fakten zu wissen – 1. Die Kulturministerin in Estland heißt Laine Jänes und „Jänes“ bedeutet so viel wie „Hase“.
2. Der Titel der Aufführung „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ erinnert an eine Aktion von Joseph Beuys aus dem Jahre 1965, wo er während seiner Vernissage die Gäste aussperrte und ganze drei Stunden einem toten Hasen seine Bilder erklärte. Sein Gesicht verzierte er dabei mit Honig verschmiert mit Blattgold. Als die Besucher nach drei Stunden in die Räume gelassen wurden, machte es sich Joseph Beuys mit dem toten Hasen im Arm auf einem Stuhl gemütlich. Hier knüpft das Schauspiel an. Jedoch nicht in Deutschland, wo Beuys Aktion einst stattfand und auch nicht im Jahre 1965 sondern in Estland. Im heutigen Estland, wo momentan eine Kunst/Kulturdebatte herrscht.
Joseph Beuys hat seinen Platz in der Ecke des Raumes. Die Wände sind teils weiß, teils beige und braun bemalt. Den Raum schmücken noch ein Sofa, ein Schrank mit allerlei Krimskrams aber hauptsächlich Getränke - alkoholische. Während Beuys mit seiner Gold verzierten Maske den toten Hasen streichelt, tritt ein junger Mann im Anzug durch einen der beiden Türen des Raumes und greift nach einer Lautsprecherbox. Ihm folgen weitere Männer, die sich anschließend im Halbkreis mit ihren Boxen den Zuschauern wenden. Es ist still, es wird auch noch weitere gefühlte zehn Minuten still sein bis aus den Lautsprechern verschiedene Töne rhythmisch erklingen. Dieser kleine Vorspann entzieht sich jedoch jeglicher Logik, aber muss Kunst, in diesem Fall Theater, logisch sein? Das ist eine von vielen Fragen.
Aufgabe und Funktion von Kunst? Die Aufführung versucht es uns nahe zu bringen – die Höhen und Tiefen eines Künstlers, die wirtschaftliche Abhängigkeit, das Erschaffen und Kreieren, Ideen und ihre Umsetzung. Die Kulturministerin, gespielt von Marika Vaarik, tritt in den Raum und hält eine Rede. Man müsse Kunst fördern, das Geld ist knapp, Kunst muss sein – Estland muss sein, eine internationale Konkurrenz. Sie fängt an zu klatschen. Ungemein lange. Wir Zuschauer klatschen ca. eine Minute mit und hören auf – sind verwundert warum sie weiter macht und beginnen von neuem an zu klatschen. Amüsant. Amüsant geht’s auch weiter.
Die Schauspieler finden sich zusammen und plädieren für eine neue Art des Theaters, man müsse lebendiger sein, kreativer, energiegeladener, das ausnutzen was das Theater ausmacht, nämlich der Moment. Man beschließt: Improvisation – das ist das was einen frischen kreativen Moment ausmacht. Es folgt ein ausdrucksstarkes und charmantes Schauspiel, wobei man nicht immer die Grenze der Improvisation erkennen konnte und so schmunzelte man, wenn man in den Augen der Schauspieler eine Art Funkeln erkannte, die einem zeigte, dass das was sie gerade tun wirklich improvisiert ist. Ab und an tritt die Kulturministerin in den Raum und erkundigt sich über den Fortschritt. Sie gibt zu, dass ihr Fachwissen in Kunst beschränkt sei, aber was soll man auch schon über Kunst wissen. Ist denn nicht alles Kunst?


Mustafa Pamirsad