Der Unterhändl
er von Xu Ying

Belebtes Theaterpublikum durch (auf)erlebten Konfuzius

 

Menschen tummeln sich. Eine leichte Aufregung herrscht im Mittelrangfoyer – die Neugier auf das chinesische Stück wächst, besonders mit dem Hintergrund, dass es sich um die neuste Inszenierung von Lin Zhaohua handelt, dem gefeierten Theaterregisseur aus Peking. Kurz vor der Einführung von „Der Unterhändler“ sehe ich mich um: Ich sehe interessiert schauende Gesichter, elegante Kleidung, gefüllte Gläser, die angestoßen werden. Ich schweife ab: Ich bin mit der Frage beschäftigt, wieso das Publikum nun wieder so homogen ausschaut – hanseatisch und meist älter als ich. Ich muss erst darauf aufmerksam gemacht werden, um dann zu realisieren, dass auch viele Gesichter aus dem asiatischen Raum zu sehen sind. Dann merke ich wie sich der Raum immer mehr mit unterschiedlichen Menschen füllt. Es kribbelt. So macht Theater schon vor der Aufführung Spaß. Das Lessing-Festival wird lebendig!

Das traditionelle chinesische Stück „Der Unterhändler“ von Xu Ying in einer experimentellen Fassung von Lin Zhaohua ist anregend, sinnlich und tragisch zugleich. Es zieht den Zuschauer mit dem erst ertönten Klang mittendrin ins Geschehen: Der Heimatort Lu von dem Philosophen Konfuzius wird durch Soldaten des Nachbarortes Qi bedroht. Der Meister beauftragt seinen Schüler Zi-Gong zwischen den Streitmächten zu schlichten. Zi-Gong (gespielt von Pu Cunxin), der sich selbst als „Mistkerl“ bezeichnet, jedoch durch seine Sprachfertigkeit, Erfahrungen und Beziehungen zu wichtigen Persönlichkeiten den Meister überzeugt, verfällt den politischen Machtspielen und löst anstatt einer Schlichtung zwischen den Staaten das komplette Chaos aus. „Kriegesverwirren und Elend – sonst bleibt nichts auf der Welt“, heißt es in den deutschen Übertiteln, die das Stück begleiten.
Mit einem nicht geplanten Gefährten, dem vorbildhaften und moralischen Schüler Zi Lu (Gao Yalin), reist er durch die Nachbarstaaten, um mithilfe seines bisher erworbenen Ansehens Audienzen bei den Königen zu erbitten. Er spielt seine Macht aus, manipuliert und lässt sich dabei nicht stoppen. Seine Überzeugungskraft schlägt tiefe Löcher. Und die gesamte Politik scheint nichts als eine große konstruierte Lüge zu sein. Eine Provokation an chinesische Verhältnisse vielleicht? Eine Kritik? Ein ernster Inhalt, doch der Handlungsverlauf gleicht oft einer Komödie. Die Dialoge zwischen den Hauptprotagonisten sind pointiert und humorvoll. Selbst wenn die Sprache fremd klingt, die Inszenierung überrascht die Zuschauer wie nah sie einem vorkommt. Es ist nicht das Exotische, das am Stück fasziniert, sondern die Entdeckung des Gemeinsamen. Es ist die emotionale Ebene, die verbindet. Die Gesänge und Klänge aus dem nordischen Kulturkreis Chinas reißen einen in die heimische Fremde.
Das Bühnenbild von Yi Liming und Zhang Wei ist die meiste Zeit sehr schlicht, ein schwarzer Hintergrund, der die Bühne größer wirken lässt; ein Hintergrund mit abwechselnden, transparenten Vorhängen, die fließende Übergänge zu den einzelnen Szenen ermöglichen. Lebendig wird die Bühne durch prächtige Kostüme und symbolische Farben: Mal sind die Stoffe einfach in einem Farbton, mal mit pompösen Mustern oder yeti-artigem Gestrick. Die Bühne verzaubert zudem durch wunderschöne Lichtspiele: Reflektionen und projizierte Lichter auf seidigen Stoffen. In eleganten Kleidern, bewegen sich die Frauen fließend durch den Raum. In einem politischen Raum, in dem sie keinen Einfluss einnehmen können. Das überraschend junge Ensemble ist stark durch seine Gruppenbilder: Die präzisen Bewegungen jedes einzelnen und das harmonische Miteinander schaffen beeindruckende Gesamtbilder. Oft wird Konfuzius zitiert; seine Lebensweisheiten sind präsent – mit Metaphern, mit Naturbildern, in einer unbeschreiblichen Leichtigkeit.
Nach dem lauten und langen Applaus, gab es im anschließenden Publikumgespräch in Zusammenarbeit mit dem Konfuzius Institut Hamburg einen Einblick in die Gedanken- bzw. Gefühlswelt des Regisseurs und der Darsteller. Das Herangehen an die gestellten Fragen war meist philosophischer Art. Das tun wir, Deutsche, gern. Am liebsten schreiben wir jeder Gestik eine Bedeutung zu oder möchten wissen, ob wir gerade eine Komödie oder Tragödie gesehen haben. Doch es geht auch anders: Kürzer. Leichter. Und intuitiver. Lin Zhaohua und der gefeierte Hauptdarsteller Pu Cunxin erstaunen das Publikum mit affektiven Antworten und lockeren Ansichten. Es muss nicht immer eine Suche nach Sinn geben. Möglicherweise lockt gerade deshalb diese gefühlsbetonte Inszenierung die meist jungen, studentischen Zuschauer in Peking an. Ob mit Verstand oder Herz, Theater muss jedenfalls berühren. Lin Zhaohua berührt mit seinem Ensemble und belebt dabei den Theatergeist des hamburgischen Theaterpublikums.


Claudia Foltyn