Inv
asion!

„Ich träume von Abulkasem. Wer ist dieser Kerl?!“

 

„Invasion!“ in der Garage der Gaußstraße. Raum und Licht wirken kühl. Die Handlung ist verwirrend. Doch die Atmosphäre ist eine ganz andere. Denn das Publikum, größtenteils aufgeregte Schüler, sind animiert, Spaß zu haben an diesem Abend.
Rafael Stachowiak und Cathérine Seifert stellen sich in den Raum. Die kühlen Neonlichter werden ausgeknipst. Bei schwachem Licht und Kunstnebel ertönt sanfte Musik. Rafael fängt an, uns die Geschichte von „Abulkasem“ zu erzählen. Lautes Geflüster tut sich im Publikum auf und verstärkt sich immer mehr. Einer der Schauspieler unterbricht sein Spiel, der zweite bittet um „ein wenig mehr Respekt!“. Die Stimmen aus dem Publikum antworten frech, unverschämt und provokant. Viele Zuschauer fangen an, sich über die „Schüler“ zu beschweren. Das erste Vorurteil fällt, und zwar vom Publikum selbst! Denn es sind die Darsteller Mirco Kreibich und Thomas Niehaus, die sich als Schüler ausgegeben haben. Lautes Gelächter bricht aus. Dabei bleibt es den gesamten Abend wie in einer Comedy Show. Die Themen des Stückes sind ernst und bedeutsam. In der Handlung geht es um Identitätsfindung, Migration, Kommunikationsstörung, Vorurteile und Fremdenangst. Doch die Inszenierung von Antú Romero Nunes ist alles andere als ernst. Es ist ein rasantes Stück, in dem von einer Szene in die nächste Szene gewechselt wird. Und zwar geschwind. Es bedient sich vieler Klischees über die auch noch lautstark gelacht wird. Lachen steckt an! Allein der Name „Abulkasem“ scheint vom jungen Publikum, viele darunter mit Migrationshintergrund, als Scherz verstanden zu werden. Das Duo Niehaus und Kreibich sorgt mit seiner realitätsnahen Imitation im Publikum für schallendes Gelächter. Mit humoriger „Kanakensprache“ nehmen sie den Raum für sich ein. Im Slang fällt die freudige Aussage „ey, endlich bin ich integriert, Alter!“.
Wer oder was ist nun dieser Abulkasem? Jede der sechzehn Figuren, gespielt von den vier Schauspielern, ist ein potenzieller Abulkasem. Aber auch Ängste, Wunschvorstellungen, Träume etc. werden mit Abulkasem oder dem bloßen Namen in Verbindung gebracht. Mal erfahren wir über ihn, dass er in den jungen Jahren unverdorben war – noch bevor er für eine arabische Zeitung Texte verfasste, wodurch er sich als „Terrorist“ verdächtig machte. Ein anderes Mal wird der „persisch“ sprechende Flüchtling, von Stachowiak auf Deutsch gesprochen, von der Dolmetscherin rigoros falsch übersetzt. Zum Beispiel erzählt er von seiner Musik und irgendeiner Kassette, sie übersetzt, er hasse die USA. Oder sie „dolmetscht“ einfach weiter, wo er nichts sagt und stellt ihn als schuldig dar. Er wird festgenommen. Die Frage bleibt offen: warum?! Das ganze Stück über wird Abulkasem gesucht, aber nicht einmal die Figuren wissen weshalb. Am Ende bleibt die Frage unbeantwortet. Jede Szene wirkt wie eine neue und geschlossene Geschichte. Es ist nicht einfach, in dem uneinheitlichen und regen Stück einen Zusammenhang zu finden. Den roten Faden schafft der Name Abulkasem und der Bezug der Figuren zu ihm. Es sind meist negative Assoziationen. Er wird stereotypisiert, benutzt, missbraucht, missverstanden, missdeutet, verherrlicht und verurteilt.
Im Publikumsgespräch erklärt die Dramaturgin Sandra Küpper, die eigene Phantasie und nicht das Fremde erzeuge Angst. Und dieses Fremde schaffe Projektionsfläche für Vorurteile. Die Inszenierung, die dem Roman von Jonas Hassen Khemiri sehr nah sein soll, verdeutlicht dies spürbar. Ausdruckstark gespielt von allen vier Darstellern! Das Publikum war begeistert! Wer ist denn nun Abulkasem? Das erfahren wir nicht. Ich weiß nur eins: Abulkasem wird gesucht, weil er den Namen Abulkasem mit sich trägt!


Mozhgan Rabbany