"Falling Ma
n“ in der Regi
e von Sandra S
trunz

Ein Stück, das von der Realität am 11.09.2001 und danach erzählt

 

Es ist ein kalter, winterlicher Samstagabend an dem die Inszenierung „Falling Man“ von Regisseurin Sandra Strunz auf der Bühne des Thalia Theaters in der Gaußstraße aufgeführt wird. Als ich das Theatergebäude betrete, umhüllt mich die angenehme Wärme des Foyers. Viele Menschen sind da, die später zusammen mit mir in einem gemütlichen Saal sitzen und das Stück erleben werden. Viele offene und nette Gesichter. Man kann sich gegenseitig über allerlei Sachen und vor allem über die Erwartungen an das Stück austauschen. Es gibt bequeme Möbel, ein rotes Sofa – ein echter Hingucker... Diese herzliche und ganz natürliche Atmosphäre des Festivals „Um alles in der Welt – Lessingtage 2011“ bezauberte mich nicht weniger, als das Stück selbst.
In der Inszenierung nach dem gleichnamigen Roman des US-amerikanischen Schriftstellers, Don DeLillo, geht es um ein katastrophales Ereignis: den Terroranschlag am 11. September 2001 auf die Türme des World Trade Centers in New York. Dem Zuschauer wird eine Tür in die persönliche Welt von Menschen geöffnet, die diese Katastrophe unmittelbar in ihrem brodelnden Epizentrum erlebt haben. Stück für Stück rekonstruieren sie diesen folgenschweren Tag.
Mit Staub bedeckt kommt Keith, gespielt von Sebastian Rudolph, ein Mann, dem die Rettung aus den Trümmern gelingt, zu seiner Ex-Frau Lianne, gespielt von Cathérine Seifert, nach Hause. Weder diese beiden, noch Nina, gespielt von Barbara Nüsse, verraten eine Antwort auf die Frage: Aus welchem Grund sucht Keith ausgerechnet seine Ex-Frau auf? Ich hatte den Eindruck, dass ein unsichtbarer Draht zwischen den Menschen entstanden ist, als das Tragische passierte. Vielleicht ist das die Antwort auf diese Frage. Denn es gibt parallel noch eine Figur, die eine ähnliche Situation erlebt. Martin, gespielt von Rafael Stachowiak, erzählt, wie ihn seine ehemalige Gattin zum ersten Mal nach 20 Jahren anruft, als sie im Fernsehen sieht, wie sich ein Flugzeug in einen der Türme stürzt. Das Stück erzählt die Geschichte noch zwei weiterer Figuren, die sich im Moment des Anschlags in den Twin Towers befanden: Keiths Freund Rumsey, gespielt von Daniel Lommatzsch, und Florence, gespielt von Birte Schnöink. Leider überleben nicht alle von ihnen diese Tragödie.
Überall auf der Bühne ist Staub. Staub auf dem Boden, in der Luft, auf den Kostümen, auf den Gesichtern. Staub auf der Aktentasche, die Keith aus dem einstürzenden Gebäude gerettet hat. Vergeblich versucht der eine oder der andere diesen Staub abzuschütteln. Denn er kommt aus allen Ecken, vom Dach, vom Boden wieder zurück. Für mich wurde er zum Symbol des Terroranschlags. Staub der Vergangenheit, der an die Tragödie und gleichzeitig an die damit verbundenen Ängste und Unsicherheiten von Menschen nach dem 11. September erinnert und immer wieder zurückkehrt.
Die unmittelbare Nähe zur Bühne und den Schauspielern brachte mich näher zu dieser Geschichte, zum realen Geschehen und zum Nachdenken über die in den Trümmern Begrabenen: Was dachten sie? Was fühlten sie? Wie geht es ihren Familien?
Obwohl Musik in diesem Stück kaum präsent ist, fehlte sie mir heute nicht. Der Text ist reich an tief greifenden Gedanken und schönen und interessanten Dia- und Monologen. Das brillante Schauspiel lies die Zeit für mich mit Lichtgeschwindigkeit rasen.
Das Stück „Falling Man“ hat viel zu bieten. Es behandelt unsere Realität und greift existentielle Fragen auf. Das brillante Schauspiel und die schöne Regiearbeit machen diese Inszenierung zu einem einzigartigen Erlebnis. Deswegen finde ich „Falling Man“ besonders sehenswert.


Vera Makarenko