Don Carl
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„Ob Schiller, der Revoluzzer oder Lessing, der Aufklärer, sie leben ihre illusionären, träumerischen und idealistischen Vorstellungen in ihren Werken aus“
– so beschreibt Joachim Lux in seiner Auftaktrede zu den Lessingtagen die beiden Schriftsteller. Beide möchten Grenzen des politischen Systems und der Gesellschaft überwinden und die Sehnsucht nach einer besseren Welt wecken.
Den Beginn macht Schillers Stück „Don Carlos“, das 1787 auch in Hamburg uraufgeführt und heute von Jette Steckel in die Moderne katapultiert wurde. Gleich am Anfang der Inszenierung wird ein Akzent gesetzt, mit einem projizierten Zitat von Julien Assange, der für die „Position der Klarheit“ im Reich des Regierens plädiert. Julien Assange, der moderne Don Carlos? Bei all den Machtspielen und Liebesintrigen scheint es fast so.
Don Carlos (Mirco Kreibich), der unglücklich in seine Stiefmutter Elisabeth (Lisa Hagmeister) verliebt ist, muss zusehen wie sein Vater König Philipp II (Hans Kremer) sie besitzt und zum Pflichtbewusstsein einer Königin ermahnt. Carlos zuvor versprochene Braut wird zu seiner Mutter, die zu schwach ist um gegen die Lieblosigkeit und Tyrannerei des Königs anzugehen. Nicht nur in der Liebe entgleitet Carlos der Verlauf der Dinge, sondern auch in der Politik. Angetrieben von seinem Freund und dem Freigeist Marquis Posa (Jens Harzer) seinen Vater zu bitten nach Flandern entsandt zu werden, wird er auch hier zurückgewiesen. Zurückgewiesen, weil er anders ist, nicht gehorchend, nicht männlich genug. Kein richtiger Sohn. Doch auch Don Carlos weist zurück – nämlich die Liebe von Fürstin Eboli (Alicia Aumüller), die nach ihrer flamingo-leidenschaftlichen Offenbarung und Enttäuschung die Rolle der Rächerin im ganzen Spiel der Intrige einnimmt, angetrieben von dem Herzog Alba und Pater Domingo, der sein Wissen über die Figuren für seine Position ausnutzt. Doch mit Wissen spielt am meisten Marquis Posa, der für seine Ideale der Freiheit zunächst zwischenmenschliche Konflikte lösen muss, um an die politischen herangehen zu können. Doch kann das gelingen, wenn jeder jeden liebt, doch niemand geliebt wird?
Beziehungen werden getötet oder vollständig erstickt, die Individuen und ihre Gefühle haben kein Platz im System. Der Raum und die Sichtbarkeit, das inszenierte Selbst gibt vor wie viel Macht jemand besitzt. Um die ringt der König, nachdem er von unerwünschten Treffen seiner Frau mit Carlo erfährt.
Einblicke in den Seelenzustand, in die Gefühle geben die großen Videoinstallationen im Stück, die Gespräche einfangen oder verzweifelnde Gedanken sprechen lassen. Videoprojektionen geben dem Stück nicht nur ein „Insight“ der Personen sondern eine Dynamik – sei es die Projektion des Thalia Ensembles, der männlichen Schauspieler, die die Suche nach einem richtigen Sohn, nach einem Freund für den König darstellen (der sich bei all seinen Untertanen und Gefolgten alleine fühlt) oder das krabbelnde Baby, das seinen Platz in dieser Welt finden möchte. Bilder, die sprechen und bewegen. Die schwarze Bühne gibt genug Projektionsfläche für Wünsche und Ängste.
Das sich zumeist drehende Bühnenbild, die Lichteinstellungen und die fragmentarische Musik von Radiohead oder Death Cab of Cutie bringen die Körper in eine Leichtigkeit, die Verlangsamung der Bewegungen lässt Zeit um Inne zu halten. Jedenfalls für die Zuschauer. Die Figuren rasen weiter, verstricken sich immer mehr in ihren wahnsinnigen Ideen, in ihren herzblütigen Idealen und in der Liebe. Florian Lösche, der für seine beeindruckenden Bühnenbilder bekannt ist, versetzt die Monarchie in klinische Bürogebäude. Die Requisite spielt mit kleinen Details, wie mit einem zu klein geratenen roten Stuhl, auf dem die mächtige jedoch gefangene Königin Elisabeth traurig sitzt, oder der bunte Drehwürfel in der Hand des Königs, der doch nichts in der Hand zu haben scheint. Bis zum Schluss nicht.
Am meisten wird Jens Harzer mit dem Applaus des Premierenpublikums belohnt, der mit Schillers ausgeklügelten Reden die leitende Rolle im Stück spielt. Doch nicht weniger brillieren Mirco Kreibich und Lisa Hagmeister in ihren Rollen. Alicia Aumüller lässt mit ihrer Rolle als Bühnenfeuer beschreiben.
Ein anstrengender Theaterabend mit all seinem „Menschsein“ und der Systemtheorie, doch gerade deswegen großartig!
Claudia Foltyn