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Düsseldorf ist kein Dorf und Schopenhauer war kein Säufer

Wie kann ein Theaterstück aussehen, welches sich dem „umstrittenen“ Buch von Helene Hegemann widmet? Würde das nicht für jeden Regisseur ein konsequentes Zitieren bedeuten, ein Verweisen auf andere Stücke und sich Bedienen aus der Theaterkiste?

Eigentlich ein schwieriges Thema oder doch eher clevere Theatermasche, sich den Stoff der Hegemann zu sichern? Mediale Aufmerksamkeit ist einem da sicher. Und natürlich kann es nur Verrisse geben. A) Weil man sich überhaupt diesem Stück Copyliteratur widmet und b) weil man das Stück ja wohl kaum im Berghain aufführen wird und somit die „Authentizität“ fehlt.

Das Berghain war es dann auch wirklich nicht. Vielmehr eine Revuebühne, auf der sich das Ensemble in den verschiedenen Rollen immer wieder im Kreis dreht. Um sich selbst und die Geschichte. Die folgt keiner erkennbaren roten Linie. Viel eher handelt es sich um einzelne kurze und prägnante Statements, die in schöne Kostüme und Requisiten verpackt vorgeführt werden. Bekannt aus den einschlägigen Quellen der Popliteratur: immer schön böse sarkastisch, selbstreflektiv und sich ja nie zu ernst nehmen. Irony is over! Das alles ist bunt inszeniert und kurzweilig, aber ohne Nachhall. Der fand seinen Platz in der Diskussion mit Max Dax, Tarun Kade Bastian Kraft und mir, im Anschluss an die dritte Vorstellung.

Um es vorweg zu nehmen, ich bin ein Copycat. Und deshalb waren für mich die Plagiatsvorwürfe gegen Helene Hegemann natürlich befremdlich. Die ganzen Vorwürfe und Anschuldigungen lassen sich nur verstehen, wenn man an ein konservatives Verweissystem der Kultur glaubt, das gekennzeichnet werden muss, weil jede einzelne Handlung im Kontext eine zusätzliche Bedeutung gewinnt. D.h. also, da Hegemann einen Roman geschrieben hat, konnte man ihre kulturelle Technik der Aneignung und der Collage nicht erkennen? Ja und?

Ihr habt also das „Markenzeichen“ Hegemann nicht erkannt, hattet keinen Spaß an der Wiedererkennung und konntet ihr deshalb auch keine Innovation unterstellen.

Hegemann benutzt fremdes Sprachmaterial aus verschiedenen Zusammenhängen für ihre Arbeit und collagiert es zu etwas Neuem! Aufgepasst, ihr Copyright-Jäger, zu etwas Neuem. Darauf kommt es Euch doch an, das Originäre, die geniale Geste, das Schöpfen aus einem Selbst! Ihr sagt: „Neumachen“. Ich sage: „Nachmachen“.

Weil dieses Nachmachen eine intertextuelle Weiterentwicklung ist, ein kreatives (ekelhaftes Wort) Verfahren. Warum sollten denn die Zitate auch gekennzeichnet werden? In Eurer Logik weiß man doch, dass man sich auf eine Spurensuche der Bezugsquellen begeben muss. Seid Hegemann doch dankbar, dass Euer literaturwissenschaftlicher Detektivgeist angetriggert wurde.

Hegemann hat nichts gestohlen sondern sie hat gerettet. Denn ohne „Kopie“ gibt es kein Original. Sie wollte sich nicht immatrikulieren in der Schule der modernen Tradition der Bewahrer, auf die auch schon Foucault, Barthes, Böcklin, Jelinek etc. keine Lust hatten. Und Ihr müsst sie ja auch nicht zu den akademischen Seminaren über Zitiertechnik einladen.

Aber lasst mich noch eines zum Schluss sagen, Ihr meine Freunde des geistigen Eigentums, die Ihr jetzt schon Eure Finger am MacBook Pro spitzt: Eine gute oder moralisch richtige Copyrightverletzung gibt es nicht! Ihr seid auch nicht besser als die großen Pharmakonzerne, die kleine Unternehmen wegen Copyrightverletzungen verklagen, nur weil sie billigere Produkte auf den Markt bringen.

Ihr seid nicht besser als jene Stiftungen, die nach dem Tod eines Künstlers dessen Bild in der Öffentlichkeit zu manipulieren versuchen. Ihr seid Ferrero, die sich das Wort „Kinder“ als Wortmarke geschützt hat! Ihr seid Metallica.

Euer ganzes Leben ist eine einzige Copyrightverletzung oder habt Ihr euch schon einmal gefragt, wie viele „Ideen“ Apple eigentlich entwickelt hat, außer dass sie schönere Produkte auf den Markt werfen und sie mit Emotionen aufladen?

Woher kommt wohl die Idee des bargeldlosen Bezahlens, mit dem Ihr den Billigflieger in den Urlaub bucht oder die Diet Coke im Flugzeug?

Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass Eure kulturellen Leistungen nicht auch aus einem gesellschaftlichen Kontext entstanden sind?

Das Gedächtnis ist die älteste Sample Maschine, ob Ihr wollt oder nicht. Aber da steht Euch ja das Urheberrecht zu Seite, das nämlich nur die Form schützt und nicht die Idee.

Florian Waldvogel ist Direktor des Hamburger Kunstvereins

 


Florian Waldvogel