G
roße Freihe
it Nr. 7

Wir sind doch nicht auf St. Pauli

Wo kommen die ganzen Zweireiher her? So viele Goldknöpfe sieht man sonst nur im Winterhuder Fährhaus. Im Foyer glänzen sie vor Glück: Die große Freiheit Nr.7! Endlich mal! In den Sitzen ist dann wieder alles beim Alten. Typisch für das Thalia sind die schnippischen Kommentare im Halbdunkel. Die geschundenen Abonnenten, was mussten sie nicht alles ertragen. Die Rache kommt im Flüsterton. Bühnenbild: „Wie bei uns in der Firma.“ Raucherintro: „In Bayern dürfte der das nicht.“ Das aggressive Stöhnen, wenn sich eine dramaturgische Wiederholung anbahnt: Herrlich! Wir sehen die ungeschminkte Bühne und alle wissen, das wird so bleiben, und die Drehbühne wird durchdrehen bis zum Ende. Das Spiel beginnt, wunderschöne Musik erklingt. Die alten Hits sind mit etwas Weill aufgebürstet, ohne sie zu verraten, es klingt sehr gut.

Die Hanseaten schnappen nach den Leckerbissen, allein der Regisseur will sie ihnen nicht recht geben. Die Lieder werden geraunzt, geviertelt, geflüstert, wir sind ja nicht auf St.Pauli. Wenn mal ein Lied in voller Länge ungebrochen durchgesungen wird, gibt es dankbaren Applaus. Dann spürt man aber auch, wie erschreckend nah hier am Wittenbrink gehangelt wird. Die Schauspieler spielten gut, viel besser als zeitgleich Uruguay, und die sind immerhin auf einem internationalen Festival. Ich glaube allen alles, und alle halten sich an die Abmachungen. Das enorme Albers-Gefälle ist natürlich nicht zu machen. Der hochprozentige tränenreiche Machohalbnazi ist schwer zu toppen. Von der massigen Albers Verdrängung bleibt das Schnodderig-Kaputte, aber das steht ansehnlich auf der Bühne. Die Geschichte wird ohne große Umwege erzählt, die Witze sind witzig, man bleibt weitgehend in der Zeit und im Stück. Nur einmal lugt der Blumenverkäufer um eine Bartlänge heraus, wenn er anmerkt, dass jetzt eigentlich wieder ein Lied kommen müsste. Der Niedergang läuft rund, und wenn es mal abgeht mit Perücke, Minirock, Pumps und Geschrei, dann beruhigt man sich, bevor es anstrengend wird. Es wäre auch etwas peinlich, sich vor den Eltern und den Lehrern so verrückt gehen zu lassen. Sowieso gibt es ein nerviges Missverständnis zwischen Bühne und Publikum. So richtig kommt hier keiner auf seine Kosten, und es ist schmerzhaft zu erleben, wie hölzern man sich entgegen kommt. So was gibt es nur im Theater. In der Rockwelt sähe das so aus: Lange Gesichter, totale Fehlbuchung: Schon wieder ein Salonorchester im Club. Die Hütte ist voll von jungen Punks, die Musiker zupfen ihre Geigen so hart sie können, es will einfach nicht passen.

Na ja, nicht mein Problem. Das Stück geht weiter, Hannes Kröger bekommt vom Leben seine Strafe serviert, der Schauspieler arbeitet evtl. mit echten Tränen... und zum Ende wagt sich die Sängerin ganz schön hoch hinaus: Koloratur bis fast unter die Decke! Dann gibt es noch eine schöne Stelle im Applaus: Die Musiker ploppen auf! Unglaublich: Da müssen doch 5 bis 7 im Schützengraben versteckt gewesen sein. Nein, zu Dritt haben sie im Dauerfeuer gefiedelt, geblasen und gequetscht, Respekt!

Der Musiker Jacques Palminger ist ist Gründungsmitglied des Künstlertrios "Studio Braun", Autor von Hörspielen und zuletzt mit seiner Band "Jacques Palminger & The Kings of Dubrock" verantwortlich für die Veröffentlichung von "Lied für alle".


Jacques Palminger