Brief
e der Li
ebe

„Lieber, lieber Paul.“ „Meine liebe Ingeborg.“ Immer wieder Anreden. Noch ein Brief. Noch einer. Und noch einer.

 

Vor mir breitet sich das ganze Elend einer Fernbeziehung aus. In verbrieften Gedichten. In gedichteten Briefen. Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Gelesen von Marina Galic und Jens Harzer.

So viele Lesarten sind möglich. Ist es die Geschichte, der Holocaust? Die Geschlechterrollen? Beziehungsdefinitionen? Lebensentwürfe? Für mich vor allem bedeutend: Die Fernbeziehung. Habe ich nämlich selber. Läuft aber kaum noch in Briefen ab. Was gesagt werden muss, wird ins Handy gesprochen. Oder wenigstens per SMS versandt.

Ist das dann noch vergleichbar? Ingeborg Bachmann muss um ein Visum für Paris bangen? Für 19 Euro und ein wenig betasten lassen, fliege ich einfach hin! Verabreden per Brief bereits Tage vorher? Wir treffen uns einfach in der Stadt, wo genau können wir ja noch klären.

Aber dann: Paul und Ingeborg (ich duze sie jetzt, weil wir so vertraut miteinander sind), sind Gefangene im Alltag, in der Arbeit. Das schnöde tägliche Brot dämpft jede Sehnsucht und jedes Verlangen. Verhindert jeden Ausbruch aus der Routine. Und überhaupt: Das Geld verhindert auch so einiges.

Und immerhin: Ingeborg tippt ihre Briefe lieber per Schreibmaschine als per Hand. Ein wenig Bestätigung macht sich in mir breit: Ja, doch! Ich darf genauso jammern! Und wer weiß, ob ich nicht bald in einem richtigen Brief vom „Gedicht, das wir miteinander gemacht haben“ schreiben kann.

Trivia: Ein Handy klingelte gleich zweimal in den Briefwechsel hinein. Da hatte jemand Sinn für Humor.

Jens Harzer’ Betonung von „Paul“ am Ende von Celans Briefen ist kultverdächtig. Es klingt ein bisschen nach maunzender Katze vermischt mit schwuler Klischee-Stimme.


Jannis Frech