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Mit Arabboy kommt Neukölln hautnah auf die Bühne. Die Inszenierung stellt sich den Problemen, um auf sie aufmerksam zu machen. Doch das Publikum lässt sie vollkommen allein.

 

Alle sind begeistert. Außer mir. Das Publikum feiert die Inszenierung „Arabboy“ des Heimathafentheaters Neukölln. „großartig“ und „authentisch“ loben sie das Stück. Im anschließenden Publikumsgespräch wird deutlich, dass es darum ging, die Realität von Neukölln zu zeigen.

Arabboy erzählt die Geschichte von Rashid, der sich selbst Arabboy nennt, denn sein Vater ist libanesischer Kurde und seine Mutter Palästinenserin. Selbst ist Rashid in Neukölln geboren und aufgewachsen. Sein Leben spielt auf der Straße, genauer: Auf dem Rollbergkiez. Dort ist er gefangen in den Strukturen der Straße: Drogen, Sex (insbesondere zwei Vergewaltigungen), Macht und Gewalt. Nachdem er es bis zum Kiezkönig geschafft hat, kommt der Fall. Er wird von der Polizei festgenommen und bald darauf in die Türkei abgeschoben.

Die Inszenierung basiert auf dem Roman "Arabboy" von Güner Balci, der sich auf wahre Begebenheiten stützt. Doch für was für ein Publikum ist so ein Stück? „Es ist kein Zielgruppentheater“, antwortet die Regisseurin Nicole Oder. Das Publikum sei immer bunt gemischt in Berlin, von Neuköllner Jugendlichen bis hin zu älteren Damen aus Zehlendorf.

Viel interessanter noch: Was bewirkt das Stück bei den Menschen? Das Team berichtet, dass viele Jugendliche lieber mit ihrem Handy spielen, als sich mit dem Stück zu identifizieren. Die Zehlendorfer sind erschrocken von dieser „krassen“ Realität. Eine ähnliche Stimmung auch heute: „Wo bleibt denn die Hoffnung?“, fragt eine Dame im Publikum.

Die Inszenierung mag authentisch sein, allerdings ist sie sehr weit weg vom Publikum. Denn jemand, der noch nie in Neukölln war, kann sich diese Welt gar nicht vorstellen – auch mit diesem Stück, weil es den Zuschauer nicht abholt, sondern in seiner Welt lässt, von der er aus auf die „Neuköllner Welt“ gucken darf. Für knappe zwei Stunden. Vergewaltigung, Missachtung und Drogen hat mir ihrer eignen Lebenswelt meist gar nichts zu tun. Die Anknüpfungsmöglichkeiten fehlen einfach.

Auch bei den Jugendlichen, von denen das Stück eigentlich handelt, kommt eine andere Botschaft an, als die gewollte. Sie beschweren sich, erzählt der Hauptdarsteller Hüysein Ekici. dass Ausländer schlecht wegkommen. „Ich muss ihnen dann erst erklären, dass Rashid genauso Deutscher sein könnte und es keine Rolle spielt woher er kommt“, sagt Hüysein Ekici. Schön wäre es allerdings gewesen, wenn man dies auch während des Zusehens gemerkt hätte.

Die Absicht, die Realität zu zeigen, wie sie ist, finde ich eine tolle Idee. Nur sollte dann das Publikum sich nicht einfach einer bequemen Schockiertheit über die ach so schrecklichen Verhältnisse hingeben können, sondern zu einer tatsächlichen Reflexion über diese angeregt werden.


Katharina Finke