Bohr
ende Verdrä
ngung

Zum Gastspiel "Öl" von Lukas Bärfuss bei "Um alles in der Welt - Lessingtage 2010"

 

„Die, der, und, in, zu, den, das, nicht, von, sie, ist, des, sich, mit…“ Es gibt Szenenapplaus als erst Nina Hoss (alias Eva Kahmer) und anschließend Margit Bendokat (Gomua) die endlose Reihe der meistverwendeten Wörter unserer Sprache fehlerlos hinunterrattern. Wie passend, dass es sich dabei vor allem um Füllmaterial handelt. Artikel, Präpositionen, Pronomen, der ganze Kram. Füllmaterial braucht der Mensch in der Welt von Lukas Bärfuss’ Stück „Öl“. Er braucht es um zu vergessen, um zu verdrängen.

Isoliert in der Stadt eines fremden Landes wartet Eva auf ihren Mann Herbert, der dort nach Öl sucht. Sie verliert sich in seltsamen Gedanken und beginnt zu verzweifeln. Das Deutsche Theater Berlin hat ein Stück mitgebracht, das wirklich anstrengt. Anstrengt, weil es so intensiv ist. Weil es mit bohrender Intensität den ganzen Wahnsinn unserer westlichen Existenz in grandios aufspielenden Darstellern verpackt. Der Raum ist trostlos. Das Licht fahl. Der Mensch gierig.

„Öl“ prangert massiv unsere penible Massenverdrängung an. Für unseren Lebensstil werden Menschen ausgebeutet, misshandelt, getötet. So einfach ist das. Und wir alle tragen einen Teil der Schuld. Diese unbequeme, aber simple Wahrheit könnten wir auch einfach lesen. Doch wir haben längst gelernt solche Worte aufzunehmen, selbstgerecht zu bejahen – und sie sodann wieder zu verdrängen. Penibel eben. Perfektioniert.

„Öl“ ist aber Theater – und die Wirkung ungleich stärker. Wir werden dabei nicht konfrontiert mit dem Leid der Betroffenen, mit Militär oder Krieg, dem ganzen Mitleidsprogramm. Wir werden auch nicht konfrontiert mit geschriebener Moral. Wir werden konfrontiert mit uns selbst. Mit Menschen wie Eva, Herbert und Edgar. Eva erregt Mitleid in ihrer Hoffnungslosigkeit, sie erregt Fremdscham in ihrer Hybris, sie erregt Verständnis in ihrer Emotionalität. Herbert ist ein Arschloch. Aber ist er nicht letztlich auch nur auf der verzweifelten Suche nach Glück? 

Diese Figuren irritieren. Denn im Grunde können wir jede einzelne verstehen. In ihrem Wahn, in ihrer Emotion, in ihrer Perversion. Und das macht uns Angst. Überflüssig ist an „Öl“ nur das zweideutige Spiel mit der Bohr-Metapher: „Weißt du warum ich nicht schwanger werde und du kein Öl findest? Weil du nur rumstocherst.“ Naja.

Das Ende kommt schließlich so banal wie tödlich daher: „Steh mal auf und stell dich an die Wand.“ So einfach ist das. Es musste ja so kommen.


Jannis Frech