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Gespräch mit Peter Sikorski, der in „La Línea“ gleich fünf Rollen spielt. Er ist ein Rausschmeißer, der 15-Jährige Chuy, der Fiesling Juanito, der Flüchtling Fernando und ein Dorfbewohner.

 

„La Línea“, die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Unrühmliche Bühne für reale, dramatische und häufig tödliche Schicksale. Beim Gastspiel des Schauspiels Stuttgart in der Gaußstraße war diese Grenze Thema eines Theaterstücks für Jugendliche und Erwachsene.

Lessingtageblogger: Mal ehrlich, die Szene, in der ihr den Einkaufswagen wild über die Bühne schiebt. Wie oft habt ihr euch da bei den Proben verletzt?

Peter Sikorski: Gar nicht. Ehrlich.

Wie lange habt ihr denn für das Stück geprobt?

Acht Wochen. Wir hatten eine relativ gute Probenzeit. Für eine kleine Spielstätte sind es normalerweise immer so sechs, sieben Wochen. Wir hatten eigentlich alle immer Zeit, die ganzen acht Wochen, hatten aber auch noch Vorstellungen nebenher.

Hast du schon öfter so Jugendtheater gemacht?

Ja wir hatten davor noch ein anderes Stück. Damit waren wir auch hier beim Thalia, bei den Autorentagen im letzten Jahr. „The Kids are allright“ hieß das Stück.

Was ist die Schwierigkeit, wenn du für Kinder spielst?

Die sind einfach ehrlicher, nicht so höflich. Die sagen sich nicht so „ja jetzt machen die da Theater, da muss ich ruhig sein und mich langweilen“, sondern wenn die sich langweilen, dann machen die halt einfach was anderes.

Habt ihr nicht Angst, dass ihr ein bisschen banal werdet? Man wandert ja immer zwischen dem Grat, dass man den Anspruch behält, den Leuten etwas zu erklären und gleichzeitig bricht man den Stoff für die Kinder runter.

Ich glaube, das Wichtige ist nicht, dass man das runterbricht für Kinder, sondern dass man einen guten Theaterabend macht. Bei Jugendlichen kann man es vielleicht nicht so einfach machen, dass man mit einer ganz ruhigen poetischen Szene einsteigt. Dann brechen die sofort weg. Man muss die erst mal irgendwie kriegen, zum Beispiel mit lauter Musik. Aber ich glaube man muss sie auch einfach ernst nehmen. Die haben ja auch Augen und Ohren und hören zu, wenn man sie packen kann. Man muss jetzt nicht extra erklärend wirken. Die sind schließlich auch schon 12, 14 oder 15 Jahre alt.

Ging es euch schon mal so, dass die Kinder in den Publikumsgesprächen hinterher gesagt haben: „Man ihr seht ja gar nicht aus wie Mexikaner.“

Ne, die nehmen das viel mehr hin, dass man der ist, den man spielt.

Das Bühnenbild ist ja relativ schlicht, kann sich aber trotzdem in viele Szenerien verwandeln. Habt ihr daran mitgearbeitet?

Ne, das macht die Bühnenbildnerin. Wir haben dann hin und wieder gesagt: „Hier das wär’ cool, wenn man an der und der Stelle nicht durchbricht, weil da muss man gegentreten.“ Oder „hier bräuchten wir ne Klappe, wenn wir was rausholen müssen.“ Das kommt dann in den Proben und im Spiel.

Ihr musstet euch als Schauspieler die Bühne mit den Holzkisten immer selbst umbauen. Ist das ungewöhnlich?

Nein, das war sogar ein ganz schönes Mittel, weil wir die Bühne so immer verändern konnten.

Ihr habt alle mehrere Rollen gespielt. Ist es schwierig, wenn man plötzlich vom Freund zum Fiesling wird?

Das ist eigentlich ganz schön. Wenn man nur diese eine Rolle hätte, wär’ das fast ein bisschen schade, weil das wär’ ja nach zwei Sekunden schon wieder vorbei. So hat man unterschiedliche Arten. Manchmal spiel ich auch gern eine Rolle, die durchgeht, so ist es aber auch schön wenn man einfach fünf kurze knackige Auftritte hat.

Welcher deiner Parts hat dir am besten gefallen?

Eigentlich alle. Ich hab in den acht Wochen Proben geguckt, dass ich auf alle Bock hab. Dieser Freund, der von seinem Kumpel verlassen und zurückgelassen wird, ist ganz schön, weil das so was Feines ist. Und sein Widersacher, dieser Asi, ist irgendwie ganz cool, weil man mal so draufhauen kann.

Hattet ihr nicht auch Angst, dass ihr Klischees bedient? Wenn man den Don Clemente ansieht, dann ist der ja genau so, wie man sich einen Don vorstellt.

Ja. Aber das haben wir auch ganz gerne gemacht. Weil die Rollen ja nur so kurz vorkommen, aber auch so wichtig sind, um die Geschichte zu erzählen. Da haben wir uns dann dafür entschieden, dass man die ganz klar macht, damit der Zuschauer sofort weiß, „ah das ist jetzt der Don und das ist sein Status und sein Verhältnis zu den anderen Rollen.“

Das Stück basiert ja auf einem Buch, das einer wahren Geschichte entspricht, oder?

Die Autorin ist Grundschullehrerin an der Grenze. Sie kennt viele der Immigrantenkinder und auch ihr Mann ist so über La Línea gekommen. Ich glaube die Erzählungen sind wahr, aber ich glaube nicht, dass es genau dieses Geschwisterpaar so gegeben hat, denen die Dinge genau so passiert sind.

Was würdest du diejenigen fragen wollen, die das durchgemacht haben?

Als Amnesty International in Stuttgart mal bei einer Aufführung da war, waren auch zwei aus dem Iran da. Einer hat genau das auch durchgemacht und hat 10.000 Euro zusammengebracht, nur um hierher zu kommen. Ein Mensch wie wir. Der hat seine Liebe und seine Freunde zurückgelassen, ist hierher gekommen, war hier erst mal nichts und musste dann darauf warten, dass er Asyl bekommt. Das ist für mich das Interessante an diesem Stück. Wie groß muss der Impuls sein, dass man wirklich sein Land, seine Familie und seine Freunde verlässt? Da muss einfach ein unendlicher Druck sein, damit man das macht, um dann in einem Land zu sein, in dem man sich rechtfertigen muss, warum man denn hier sei.

Wie ist es für dich, an den Lessingtagen zu spielen?

Super. Ich find das cool.

Nimmt man das wegen der Thematik der Lessingtage als was Besonderes wahr?

Für mich ist das vor allem ein Gastspiel. Das ist immer etwas Schönes. Andere Bühne, andere Menschen. Es ist einfach interessant, woanders zu spielen.

Beschäftigt dich das Stück auch im Alltag? Also besonders dann, wenn man über Grenzen geht, was für uns heute ja selbstverständlich ist?

Ja, als der aus dem Iran da war, da hat mich das richtig gepackt. Weil man da jemanden vor sich hat, der das wirklich durchgemacht hat. Und durch das Stück bekommt man auch einen anderen Blickwinkel, was es bedeutet, sein Land zu verlassen. Das ist ganz wichtig. Das den Jugendlichen zu zeigen und zu vermitteln, das finde ich gut.

Danke fürs Gespräch!


Jannis Frech und Katharina Hamberger